Stolze Hüften aus Knochen, Stein, gebranntem Ton. Wir nennen sie Göttinnen, doch wer oder was waren sie wirklich? In Büchern über die Steinzeit sehen wir vorrangig Männer beim Jagen, Feuerstein schlagen oder Höhlen bemalen. Die meisten Menschenbilder aber, die uns von Eiszeitmenschen selbst hinterlassen wurden, zeigen Frauen. Was waren das für Gesellschaften, die sie und ihr Geschlecht so zentral und ohne Scham darstellten? Nach Jahren der Recherche kehrt Ulli Lust zurück mit ihrem groß angelegten Sachcomic über die Anfänge der Kunst und die Bedeutung der Empathie für das Überleben unserer Spezies: Rund um die archaisch-weiblichen Figurinen entfaltet sich eine vergessene Welt, in der die Heldenreise Gruppensache war, die nur gemeinsam bestanden werden konnte, von Frauen, Männern, Kindern oder auch nichtbinären Menschen in mitunter reich geschmückter Rolle.
Was für eine großartige und wichtige Graphic Novel.
Ulli Lust versucht das althergebrachte Wissen über die Rolle der Frauen in der Steinzeit in neues Licht zu rücken und belegt dies auch wissenschaftlich.
Da seit jeher nur Männer bei Ausgrabungen anwesend waren und diese versuchten die Funde in einen historischen Kontext zu stellen, ging damit automatisch einher, dass die damals tradierten Rollenbilder mit in die Interpretationen der Funde einflossen. Erst in jüngster Zeit, seit Frauen archäologische Funde wissenschaftlich auswerten, aber auch durch möglich gewordene DNA-Analysen, muss die Rolle der Frauen in der Steinzeit neu beurteilt werden.
Sehr interessant fand ich, dass aus der Zeit der Venus von Willendorf, also vor ca 30 000 Jahren, jede Menge solcher Frauenstatuetten mit ähnlichen Merkmalen gefunden wurden, jedoch keine vergleichbaren Männerfiguren – und dies auf der ganzen Welt. Auch wird mit dem Mythos aufgeräumt, dass Frauen sich nicht an der Jagd beteiligten oder in der Gemeinschaft eine untergeordnete Rolle spielten – so war das damals nicht, also liegen Fehlinterpretationen vor. Alle mussten damals schon gleichberechtigt für das gemeinsame Überleben sorgen. Ulli Lust nimmt auch andere Nomadenvölker auf der ganzen Welt unter die Lupe und kommt zur gleichen Erkenntnis.
Scham ist eine Erfindung der Neuzeit, auch das tritt bei genauem Hinschauen ganz klar zu Tage. Es ist ein weiterer Mythos, dass Frauen während der Menstruation zur Strafe in sogenannte Mensturationshütten verstoßen wurden. Frauen gingen in diese Hütten zur Erholung und Meditation. Die erste Menstruation, die bei Mädchen gefeiert wurde, war weder schmutzig noch ekelig – sie war jedoch überlebenswichtig für Stämme und Gemeinschaften.
Ich könnte hier noch viele solcher Irrtümer aufzählen, die von der Wissenschaft mittlerweile belegt sind, jedoch nur selten über Lehrpläne oder anders in die Köpfe gelangen.
Es ist also nicht so, dass es das Patriachat schon immer gegeben hat – ganz im Gegenteil. Um zu überleben, mussten alle gleichberechtigt den Überlebenskampf täglich aufnehmen.
Ein großartiges Buch, dass man unbedingt lesen und, noch viel wichtiger, auch darüber sprechen muss, damit endlich dieser alte Mythos aufgebrochen wird, dass das Patriachat bis in die Steinzeit zurückreicht und eine natürliche Ordnung darstellt. Ein so eindrucksvolles Sachbuch, das mit dem männlichen Blick auf die Geschichte aufräumt, hatte ich schon lange nicht mehr in den Händen. Absolute Empfehlung.
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