Leuchtend. Voller Strahlkraft. Alena Schröder erzählt vom Mut der Frauen.
1989. Die 33-jährige Silvia Borowski fährt in einem geklauten Polo aus Westberlin in Richtung Süden. Auf dem Beifahrersitz, in einem Wäschekorb, liegt ihre kleine Tochter Hannah. Sie ist erst wenige Wochen alt. Silvia hat genug von ihrem Leben in einer Kreuzberger Hausbesetzer-WG, und der Vater ihres Kindes will nichts von ihr wissen. Aber was erwartet sie in jener Kleinstadt, aus der sie vor vielen Jahren überstürzt geflohen ist? Und wie wird ihre Mutter Evelyn sie aufnehmen?
Alena Schröder erzählt jetzt, was in ihrem gefeierten Debütroman >Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid< im Dunklen blieb.
Nach ihrem ersten Buch "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" habe ich mich unheimlich über die Fortsetzung gefreut. Vorab möchte ich aber schicken, dass man nicht zwingend den ersten Teil gelesen haben muss, um allem folgen zu können. In diesem Roman spielen diesmal Evelyn, die wir als Großmutter von Hannah kennengelernt haben, sowie deren Tochter Silvia die Hauptrolle. Wir beginnen im Jahr 1989 in Berlin, wo Silvia mit ihrer Tochter Hannah heimkehrt in die Provinz. Und in den Nachkriegsjahren, wo Evelyn in ebenjener sich ihr Leben aufbaut. Beide Fäden laufen meisterlich zusammen und wir als Lesende dürfen bewegenden Ereignissen beiwohnen. Warum verhalten sich beide so, wie sie es tun? Mutter wie Tochter haben jeweils gute Gründe dafür, schaffen es aber nicht, darüber miteinander zu reden. Der fesselnde, geradezu hypnotisch schöne Stil der Geschichte zieht einen tief in seinen Bann und ist mit viel Substanz und gesellschaftlichen sowie politischem Hintergrund unterstützt.
Zwei Generationen, eine Geschichte - lesenswerter Familienroman, Sittenbild und ein Stück Zeitgeschichte
Bewertung am 21.08.2023
Bewertungsnummer: 2004710
Bewertet: eBook (ePUB 3)
„Frau Doktor, es ist immer so still bei Ihnen“, hatte die Hagerle von gegenüber gesagt, als sie eines Tages einfach vor der Tür gestanden hatte mit einem großen Topf Hühnersuppe. „Da wollte ich mich mal erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Man hört das Kind ja nie schreien.“
1989 packt Silvia in Berlin ihre neugeborene Tochter Hanna in den (nicht ganz korrekt) geliehenen Polo und fährt mit ihr durch die halbe Republik in ihren schwäbischen Heimatort Ildingen zu ihrer Mutter Evelyn. Ihr Aufenthalt wird auch zur Reise in Evelyns Vergangenheit, die nach dem zweiten Weltkrieg von der Ostsee nach Ildingen zog, dort Ärztin wurde und doch immer eine Fremde blieb.
Autorin Alena Schröder schreibt in zwei Handlungssträngen auf zwei Ebenen. Zunächst schildert sie Silvias Geschichte, die mit ihrer Tochter Hanna ihre Mutter Evelyn besucht. Außerdem führt sie aus, wie Evelyn 1950 in Ildingen ankommt und wie sich ihr Leben danach weiterentwickelt. So wird nach und nach immer klarer, wieso sich die Beziehung zwischen Evelyn und Silvia so problembehaftet und kompliziert gestaltet. Der Roman ist in nüchtern-sachlicher, direkter und flüssiger Sprache in der dritten Person verfasst. Der unaufgeregte Schreibstil liest sich ohne jede Schwierigkeit. Sehr gelungen finde ich den ungewöhnlichen, auffälligen Titel des Romans, passt er doch sehr gut zum Inhalt und macht zudem neugierig auf die Handlung.
Silvia ist 33 Jahre alt, als ihre Tochter Hanna geboren wird. Sie befindet sich in vieler Hinsicht noch auf der Suche. So lebt sie in einer unkonventionellen WG, hat keine Ausbildung und keinen festen Job vorzuweisen und ist Single. Sie verlässt Berlin für eine Weile und kehrt in ihr Heimatdorf zu ihren Wurzeln zurück. Silvias Mutter Evelyn hat nach außen alles erreicht, was sie sich wünscht, dennoch wird sie in den 50er Jahren in ihrer neuen Heimat nicht voll akzeptiert. Auch zu ihrer Tochter Silvia vermag sie keine innige, tiefergehende Verbindung aufzubauen.
Und dann ist da noch Evelyns Schwägerin Betti, die ebenfalls nicht so recht in die Gesellschaft passen mag, aber stets umtriebig durch die Gegend und durchs Leben „wirbelt“.
Silvia trifft mit Monika und Rüdiger auf zwei Jugendfreunde, die nach wie vor in Ildingen wohnen. Ihre Beziehung zu den beiden nimmt eine besondere, unerwartete Wendung.
Auch wenn Evelyn und Silvia kaum miteinander sprechen, hat der Roman einiges über die beiden Hauptfiguren und ihre Beziehung zu erzählen. Sukzessive wird aufgedeckt, wie es zu dem unterkühlten, von Unverständnis und Fremdheit geprägten Umgang der beiden miteinander kommt. Mutter zu werden stellt sowohl für Evelyn als auch für Silvia eine einschneidende, herausfordernde Veränderung dar. Beide Frauen gehen unterschiedlich mit der Situation und ihrer neuen Rolle um. Ganz langsam gewinnen aber Mutter und Tochter Respekt voreinander, nähern sich behutsam einander an. In ruhigem Ton schildert Autorin Alena Schröder manchmal direkt, manchmal aber auch zwischen den Zeilen eine besondere Familien- und Freundschaftsgeschichte. Zwei Generationen und ihre prägenden Erlebnisse und Erfahrungen werden dabei gekonnt zusammengeführt. Mit ihrer kleinen Enkelin Hanna gelingt Evelyn das, was ihr mit Silvia verwehrt blieb, die Sprachlosigkeit und Stille zumindest ansatzweise zu überwinden.
„Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hat mich von Beginn an bis zum Ende gefesselt und beschäftigt. Ich kann den gelungenen, in sich sehr stimmigen Roman allen, die sich für interessante Familienkonstellationen und Zeitgeschichte interessieren, sehr ans Herz legen.
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