Fuyuko ist 34 Jahre alt, Korrekturleserin und einsam. Sie lebt für ihre Arbeit, die sie mit selbstausbeuterischer Gewissenhaftigkeit verrichtet. Einzig der Spaziergang, den sie regelmäßig durchs nächtlich erleuchtete Tokio unternimmt, bereitet ihr neben dem Beruf Freude. Sie hat sich in ihrem Einsiedlerinnenleben eingerichtet, bis sie eines Tages in den Spiegel sieht und feststellt, dass sich ihr ganzes Dasein in einem einzigen Wort zusammenfassen lässt: miserabel.
In diesem Moment entscheidet sie, dass sich etwas ändern muss – und fasst einen folgenschweren Entschluss: Sie fängt an zu trinken. Was mit einem Feierabendbier beginnt, gerät allmählich außer Kontrolle, und bald verlässt Fuyuko das Haus nicht mehr ohne eine Thermoskanne Sake. Bisher bloß am Beckenrand, wagt sie sich nun hinein ins Leben – und sinkt immer tiefer. Allein die zufällige Begegnung mit einem Mann namens Mitsutsuka bewahrt sie davor, unterzugehen.
Intensiv und aufwühlend zeichnet Mieko Kawakami das Bild einer Frau, die erkennt, dass sie auf sich selbst hören muss, um von der Randfigur zur Protagonistin im eigenen Leben zu werden.
Ein stilles, aber kraftvolles Porträt der Einsamkeit
Heiki Rud aus Regensburg am 19.01.2025
Bewertungsnummer: 2390616
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
“All die Liebenden der Nacht” ist eine eindringliche Erzählung über Isolation, Licht und die Unsicherheiten weiblicher Identität.
Die Geschichte folgt Fuyuko Irie, einer 34-jährigen Korrektorin, die in Einsamkeit und innerer Distanz lebt. Ihre Routine ist von Monotonie und Entfremdung geprägt, bis sie eines Tages ihr Spiegelbild erblickt und sich selbst als das Abbild von Elend erkennt. Durch diese schmerzliche Selbsterkenntnis beginnt sie, ihre Isolation zu hinterfragen und versucht, durch vorsichtige Begegnungen mit anderen Menschen – insbesondere mit dem rätselhaften Mitsutsuka – einen neuen Zugang zu sich selbst und ihrer Umwelt zu finden.
Kawakamis narrative Stärke liegt darin, die Distanz und Unsicherheit ihrer Protagonistin spürbar zu machen. Der Roman fließt langsam und zögerlich, so wie Fuyuko selbst, und führt den Leser in die zerbrechliche, introvertierte Welt einer Frau, die sich gleichzeitig nach Nähe sehnt und vor ihr zurückschreckt. Die Erzählweise ist fast hypnotisch, der Alltag Fuyukos wird in all seiner Banalität und emotionalen Leere geschildert, sodass man als Leser diese Einsamkeit förmlich spürt.
Gleichzeitig eröffnet Kawakami einen vielschichtigen Diskurs über die Rolle der Frau in der Gesellschaft: von beruflichem Erfolg über Mutterschaft bis hin zu den subtilen Formen von Konkurrenz und Unterdrückung zwischen Frauen. Figuren wie die selbstbewusste Hijiri oder die desillusionierte Noriko spiegeln unterschiedliche Lebensentwürfe, die jedoch alle von unerfüllten Erwartungen durchzogen sind.
Obwohl “All die Liebenden der Nacht” leise und oft melancholisch ist, bleibt es durch die Schönheit von Kawakamis Prosa und die Tiefe ihrer Themen im Gedächtnis. Kawakami lädt ihre Leser ein, sich mit den leisen, oft unbequemen Fragen des Lebens zu beschäftigen: Wie sehr sind wir authentisch? Wie definieren wir unsere Beziehungen und Identität? Und wie gehen wir mit der Einsamkeit um, die jeder von uns erlebt?
Fuyuko führt praktisch ein Einsiedlerdasein. Ihre Tätigkeit als Korrekturleserin bietet auch nicht gerade viele Möglichkeiten am sozialen Leben teilzunehmen. So beginnt ihr physischer und psychischer "Verfall". Als ihr das eines Tages auch gewahr wird, versucht sie an ihrer Lage etwas zu ändern - unter dem Einfluss von Alkohol.
Kawakami erzählt sanft und poetisch eine Geschichte über das Vereinsamen, die seelische Verwahrlosung, den Verlust des eigenen Ichs. Gleichzeitig auch, wie eine junge Frau Schritt für Schirtt aus dem Schatten ins warme Sonnenlicht steigt.
Eine Stelle, die ich nie vergessen werden:
"Du bist die Erste, der ich von meinen Eheproblemen erzähle", sagte sie nach einer Pause. "Yoshii weiß nichts davon. Die Schulmütter und meine, sagen wir, relativ guten alten freunde auch nicht. Du bist die Eerste." | "Hm." | "Und weißt du, warum?", fragte sie. "Weil du in meinem Leben keine Rolle spielst."
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